Das Selbst

100 Überblick über das Selbst

Das Selbst

Das „Selbst“ ist eine Bezeichnung für das Phänomen, dass du erfährst, wenn du mit deinem Bewusstsein nach innen gehst, also für eine Erfahrung einer Innenschau.
In dieser Innenschau wirst du zunächst deinen Körper wahrnehmen. So sagt man. Aber du nimmst nicht „den“ Körper wahr, sondern Empfindungen von Härte, Weichheit, Druck usw. und du nimmst nicht nur das wahr. Du kannst ebenfalls so etwas von dem wahrnehmen, was du bist. Ich bleibe jetzt bewusst etwas unklar. Oft wirst du, wenn du dich fragst, wer das ist, ein „ich“ innerlich hören oder ein Gefühl einer Individualität wahrnehmen, von etwas zu „dir“ gehörendes. Diese Wahrnehmungen werden im Übungsteil genauer aufgeführt.

Das Selbst entsteht unter zwei Bedingungen: du brauchst einmal Bewusstheit und zum Spüren braucht es zweitens eine Form von Rückwendung, besser eine Nach-Innen-Wendung. Wenn beides nicht zugleich da ist, gibt es das Selbst nicht. Ich kann laufen, joggen ohne ein Selbst zu spüren. Indem ich einfach nur laufe und fühle, wie sich mein Körper anfühlt - ohne eine Reflexion darauf wer das ist, der läuft.  Unter den verschiedenen Weisen wie das Selbst erfahren werden kann, unterscheide ich in diesem Kapitel das Selbst in den Formen des

  • Körpers als Organismus und
  • als das Körperbild,
  • des Leibes, der Verbindung von Körperbild und Körperfeld,
  • die Seele in der Weise wie sie geformt ist als Persönlichkeit und
  • die Seele in der Weise wie sie ungeformt ist als Person sowie
  • dann noch das unbegrenzte Selbst, das auch Sein genannt wird.
  • Dieses Kapitel ist eine Skizze. Auf die verwendeten Begriffe und Konzepte wird in den weiteren Kapiteln vertieft eingegangen. Zum kurzen Überblick benutze das Begriffsverzeichnis
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110-112 Das Körperselbst

 

110 Das Körperselbst

Der Körper wird oft nicht zum Selbst hinzugezählt. Wenn ich an Selbst denke, dann mache ich eine Reflektion und komme meistens zu irgendwelchen mentalen Prozessen, vielleicht fühle ich emotionale Prozesse, wenn „ich“ noch wütend bin. Doch dass der Körper ein Selbst hat, ein Körperselbst ist, ist in unserer Kultur nicht weit verbreitet. Dies ändert sich allmählich, indem bestimmte Bereiche des Körpers als mit einer eigenen Intelligenz ausgestattet angesehen werden, wie beschrieben im „Darm mit Charme“. Außerdem wird immer mehr bewusst, dass viele Regulationssysteme wie z.B. der Zuckerhaushalt oder das hormonale System, die gesamte Befindlichkeit wesentlich mit beeinflussen. Dies wird allmählich im „Hirn“ anerkannt.
Was also ist ein Körperselbst? Zunächst einmal wissen wir, dass wir über einen Körper verfügen, einen Organismus, den wir oft aber erst dann wahrnehmen, wenn irgendwas nicht funktioniert, wenn eine Krankheit auftaucht, wenn Unpässlichkeiten zustande kommen, wenn der Mensch altert. Beim Alterungsprozess oder während einer Krankheit wird bewusst, dass wir nicht nur einen Körper haben, sondern auch in einer bestimmten Weise ein Körper sind. Ich unterscheide hier zwischen dem Körper als Organismus, das ist das, was die Ärzte insbesondere anschauen, und dem Körperbild, das ist das, was wir wahrnehmen können, wenn wir in unserer Wahrnehmung nach innen gehen und beides ist das Körperselbst.

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111 Der Körper als Organismus

Hierunter verstehe ich zunächst einmal den manifesten Körper, das heißt, denn physischen Körper, wie er von der Medizin gesehen wird. Dieser Körper als Organismus wird gewöhnlich erst dann wahrgenommen, wenn er irgendwie nicht funktioniert. Wenn Schmerzen auftauchen, dann nehmen wir etwas wahr und ordnen es irgendwie zu als „Schmerzen im Bein“ Aber so genau wissen wir das gar nicht. Was ist z.B. eine Erkältung? Wir nehmen die Auswirkungen wahr, aber was da genau abläuft normalerweise nicht. Das ist irgendetwas ganz fernes, mit dem wir anscheinend nicht so viel zu tun haben. Wenn der Körper nicht funktioniert, wird das meistens so wahrgenommen, dass etwas, was wir als Idealbild in der Persönlichkeit haben, nicht erfüllt wird. Der Körper erfüllt seine Pflichten nicht. Wir können dann mit der Psyche eines Kleinkindes „sauer“ über unseren Körper sein.  Dabei verfügt der Organismus über vielfältigste Regelkreise und unser Existieren hängt vom Organismus hundertprozentig ab. Aber irgendwie haben wir in unserer Kultur den Körper nicht so richtig mit uns verbunden. Als erstes ist es wichtig interessiert zu sein, Interesse zu zeigen, Interesse zu haben, was da eigentlich funktioniert im Organismus. Ein Paradebeispiel dafür ist der Atem. Was passiert da eigentlich und was nehmen wir wahr. Und die Wahrnehmung dessen, was passiert, ist etwas deutlich anderes als die Rückmeldung, als der Abgleich mit dem Selbstbild in der Persönlichkeit. Dies wird besonders deutlich, wenn es um den Bereich geht „Leiden vermeiden“.
Der Körper zeigt eine Reihe von Symptomen: Schmerzen, Unpässlichkeiten. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit haben einen Wert für sich, ohne dass ein Abgleich mit dem Idealbild der Leistungsfähigkeit des Körpers gegenüber der Persönlichkeit erfolgen muss. Ein tiefes Verständnis von der Funktionsweise des Körpers ist ein Bereich des Selbst, der überhaupt erst zu entwickeln ist.
Mit anderen Worten: der Körper ist in den Rang eines Selbst zu erheben und nicht als ein Apparat, eine Maschine anzusehen.

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112 Das Körperbild

Im Gegensatz zum Körper als Organismus, der der Wahrnehmung gar nicht so sehr zugänglich ist, entwickeln wir ein bestimmtes Bild vom Körper - das Körperbild- dass wir fälschlicherweise mit dem Körper als Organismus gleichsetzen. Wir unterscheiden dabei nicht genug, mit einigen Konsequenzen, wenn wir nach innen spüren, z.B. einen „Körpercheck“ machen. Bei diesem Durchgang durch Bereiche des Körperbildes können wir besonders Verspannungen wahrnehmen, als eine ganze Abfolge von unterschiedlichen Empfindungen.

Beispiel: Was spürst du z.B. im Daumen - und spürst du den Übergang zum Daumennagel, und wie spürst du ihn.

Diese genauere Wahrnehmung des Körperbildes ist auch zur „Wiederbewohnung“ des Körpers wichtig, zum Kennenlernen des Körperselbst.
Die Innenschau in das Körperbild eröffnet auch einen Zugang zu anderen Bewusstseinszuständen, etwa zum Sein. Wenn sich nämlich Raum öffnet beim Meditieren, wenn wir Kraft finden im Unterbauch.
Wir brauchen den Zugang nach Innen wenn wir die Methode der Erkundung benutzen. Wir beginnen mit dem Körperbild und lassen uns von dem leiten, was dort und dann erscheint. In diesem Bereich stehen nicht mehr Empfindungen im Vordergrund sondern das „spüren“, ein wenig beachteter Sinn.
Wichtig wird dort die Unterscheidung zwischen den Wahrnehmungen, den Erscheinungen, die wir mit dem Körper als Organismus verbinden können. Z.B. spüren wir Druck in der Gegend des Magen oder starke Spannung im Rücken, wir nehmen ein Pochen wahr in der Gegend wo es Venen gibt. Alle diese Wahrnehmungen können eine körperliche Ursache haben, sie können aber auch psychischer Ursache sein. Alle geben Hinweise auf das Funktionieren der Persönlichkeit.

Beispiel: Ich spüre einen Druck in der Brust. Dies kann eine Empfindung sein, die auf ein bestimmtes Signal des Körpers als Organismus hindeutet oder es kann ein psychisches Problem sein. Wenn ich bei diesem Phänomen bleibe und merke wie sich der Druck durch mehr Bewusstheit auflöst, dass die Bewusstheit der Wahrnehmung etwas ausrichten kann, dann vermute ich, dass es ein seelisches Phänomen ist. Denn das Bewusstseinsfeld, welches wir durch dieses Körperbild ebenfalls wahrnehmen, verändert sich.
Zusammenfassend: es gibt in dem Körperbild Zugänge zu mehreren Bereichen. Insofern ist das Körperbild auch ein Tor.

Beispiel: Ich gehe mit meiner Wahrnehmung nach innen und „lande“ zunächst beim Körperbild und nehme einen Druck in der Magengegend wahr. Doch für mich ist interessanter, was ich in meinem Unterbauch wahrnehme. Dort verweile ich und nach kurzer Zeit bildet sich eine „Verdichtung“ heraus, ein Bereich, den ich „Kraftraum“ nenne. Ich bin jetzt nicht mehr im Kontakt mit dem Körperbild, sondern mit einem subtilen Bereich (s. Glossar), bin in einem anderen Bewusstseinszustand.

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120 Der Leib

Der Leib

Unter „Leib“ wird einerseits etwas altertümlich im Deutschen der Körper in seinem Lebenszusammenhang verstanden. Ich betrachte den Leib hier in einer etwas neueren Weise angelehnt an die Theosophie oder die Anthroposophie, bei dem der Körper mit dem Körperfeld verbunden wahrgenommen wird. Den Leib selbst wahrzunehmen ist nicht so schwierig. Versuche mal wahrzunehmen, wo genau deine Körpergrenzen sind. Du wirst sie meistens mit den Grenzen der Haut identifizieren, und dann stell dir vor, dass um den Körper herum ein ganz feines Feld von Energie ist. Wie ein Dunst um deinen Körper herum. Dies Feld wird oft als Wärme wahrgenommen. Es umgibt den gesamten Körper und kann je nachdem zwischen 5 und 20 cm Durchmesser haben.  Es kann verschieden breit sein an unterschiedlichen Stellen.
Wenn du den Körper mitsamt seines Körperfeldes wahrnimmst und bei dieser Wahrnehmung verweilst, dann kann sich deine Wahrnehmung verändern, dann kann sich dein Bewusstseinszustand ändern, und du bist dann der Leib. Eine Einheit von Körperbild und Körperfeld. Und du wirst feststellen: als Leib nimmst du die Welt ganz anders wahr.
Es gibt Körpertherapeuten, die auf die Therapie des Leibes ausgebildet sind. Sie können durch Spüren wahrnehmen, wo und wie das Körperfeld dich umgibt. Sie finden dort Verdichtungen, Löcher und versuchen an diesem Körperfeld zu arbeiten, ohne dich zu berühren, ohne deine Haut zu berühren und dadurch deine Befindlichkeit als Leib zu verbessern.
Ich beziehe bei diesem Lernprogramm den Leib mit ein, weil die besondere Wahrnehmung, die du als Leib hast, als Leib bist, so kostbar ist, so wichtig ist, dass dieser Bereich als zugehörig wahrgenommen werden kann und sollte. Der Zugang zum Leib hat im Zusammenhang des Lernprogramms noch eine weitere wichtige Funktion. Vom Bewusstseinszustand des Leibes aus kannst du leichter ins Sein gelangen. Denn das Energiefeld des Leibes befindet sich schon auf der subtilen Ebene und das Sein als solches ist die subtile Ebene.

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130 Die Seele

Die Seele

Ein Weg, die Seele zu beschreiben und zu kennzeichnen, besteht darin, die Seele als das Organ des individuellen Bewusstseins zu definieren. Organ bedeutet, dass die Seele als ein Lebewesen wahrgenommen werden kann, ein Lebewesen, das in der Wahrnehmung entsteht und das vergeht. Ein Lebewesen, das lebendig ist, von Lebensenergie durchflossen wird, der Empfindung fähig ist und verbunden ist durch Wahrnehmung und Austausch von Energie.
Die Seele ist von innen wahrnehmbar als ein Feld des Bewusstseins mit einer Besonderheit, die es von allen anderen Feldern des Bewusstseins unterscheidet. Diese Besonderheit kann in der Analogie wie ein feiner Körperduft, der „Duft“ der Individualität gekennzeichnet werden.
Alle Inhalte, die in der Seele vorkommen, alle Formen die angenommen werden, erhalten den Duft der Individualität und enthalten ihn von Beginn an. Das heißt, die Seele ist deine Seele, obwohl die Frage was ist „deins“ etwas Besonderes ist. Obwohl die Seele einen feinen Duft von einem Individuum hat, ist sie nicht vom gesamten Universum, von allen anderen Phänomenen abgegrenzt, sondern offen.
Ein weiteres besonderes Kennzeichen besteht darin, dass die Seele außerordentlich formbar ist. Sie kann ganz unterschiedliche Formen annehmen.

Ich stelle mir das so vor – und es gibt auch ganz andere Möglichkeiten, sich das vorzustellen. Die Seele besteht aus unendlich vielen Bewusstseinskernen oder Bewusstseinspunkten. Diese Bewusstseinspunkte werden konzentriert in bestimmte Formen, die vergehen, die aber auch eine Zeitlang bestehen, weil sie im Entstehen sehr fest geformt werden.
Deshalb unterscheide ich auch zwischen der Seele als ungeformter und als geformter Seele.
Ich arbeite zur Vereinfachung mit einer weiteren Annahme und bin mir erneut bewusst, dass es auch ganz andere Wahrnehmungs- und Deutungsweisen gibt. Ich gehe davon aus, dass alle materiellen Phänomene, und hier besonders der Körper als Organismus, aus verdichtetem Bewusstsein bestehen. Verdichtung hat auf der einen Seite den Vorteil der Beständigkeit. Der Körper löst sich nicht ständig auf. Auf der anderen Seite hat die Verdichtung auch den Nachteil, dass der ungeformte Bereich nicht wahrgenommen werden kann, nicht realisiert werden kann, solange der größte Teil der Aufmerksamkeit des Bewusstseins auf die verdichteten Teile gerichtet ist. In der Metapher ausgedrückt: solange die Aufmerksamkeit auf einen Baum gerichtet ist, wird der Wald daneben nicht wahrgenommen.
Solange du dich mit deiner Aufmerksamkeit im geformten Bereich des Bewusstseins bewegst, z.B. innerhalb der Persönlichkeit, nimmst du nicht wahr, was für unendlich viele mehr Möglichkeiten die Seele als das Feld deines Bewusstseins enthält. Du kannst ganz anders sein, kannst ganz andere Bewusstseinsbereiche wahrnehmen, die die unterschiedlichen Ebenen des Selbst ermöglichen können. Du bist angelegt, alles wahrzunehmen, soweit dir der „Duft“ der Seele wahrnehmbar ist. Du nutzt vermutlich jedoch eher wenig „Duft“. Ein Ziel dieses Lernprojekts ist, dass mehr „Selbste“ für das Bewusstsein zugänglich werden.

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131 Die geformte Seele als Persönlichkeit

Die Persönlichkeit: der geformte Teil der Seele

Normalerweise ist die Persönlichkeit das einzige Selbst was du kennst. In der Analogie: die Persönlichkeit ist wie ein Fisch im Wasser, der nichts von dem wahrnimmt, was sie so besonders macht, nämlich im Wasser zu sein. Die Persönlichkeit nimmt sich nur in Ausnahmefällen wahr, bei Beeinträchtigungen, wenn in der Analogie der Fisch z.B. einem Fressfeind ausweichen muss oder etwa aufs Trockene gespült wird.
Warum ist es also im Zusammenhang mit dem Lernprogramm so wichtig, mehr über die Persönlichkeit zu wissen, über diese besondere Bewusstseinsstruktur? Warum lassen wir uns nicht in der Persönlichkeit und mit der Persönlichkeit „weiterfahren“? Warum wollen wir mehr über die Ausweitung des Bewusstseins wissen? Ganz eindeutig: um selber das eigene Bewusstsein entwickeln zu können.
Wenn du die Sehnsucht spürst, dass dein Leben durch das ganze Selbst bestimmt wird, dann braucht es auch viel Wissen darüber, auf welche Weise du mit deinem Selbst durch die Persönlichkeitsstruktur verklebt und dadurch auf das Selbst der Persönlichkeit beschränkt bist.

Daher werde ich wichtige Strukturbereiche der Persönlichkeit erläutern. Diese Strukturen repräsentieren dich solange, wie du sie nicht als deine Begrenzung wahrnimmst, du also in der Metapher „den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst“. Ich werde in diesem Kapitel und in den folgenden mehr und mehr „Bäume“ einfügen, um dann im Übungsteil Wege aufzuzeigen, wie du dich zwischen den Bäumen bewegen kannst.
Ich beginne mit der „Objektbeziehung“, dem kleinsten Baustein jeder Erfahrung, und setze fort mit dem „inneren Kind“, einer wichtigen Erinnnerungsspur an einen früheren Stand deiner Entwicklung, den „Emotionen“ als der Einbindung der Gefühle in die Vergangenheit, den „Persönlichkeitsdynamiken“, d.h. den Mustern, die dich immer wieder so wie früher handeln lassen, leider auch unabhängig davon, ob sie jetzt noch angemessen sind und dem „Abwehrsystem“, den Mustern indem du dich gegen alte und neue Anforderungen wehrst.

Doch zunächst einmal: was sind Bewusstseinsstrukturen, was sind Persönlichkeitsstrukturen auf dieser Ebene des Selbst?
Ich stelle mir das Bewusstsein als ein Feld vor, in dem Bewusstseinspartikel als Bewusstseinstaub, als Bewusstseinskerne, als Bewusstseinspunkte vorkommen. Die Bewusstseinspartikel, die Bewusstseinspunkte, sind im Idealfall frei verteilt. Außerhalb des Idealfalls, sind die Bewusstseinspartikel zu Strukturen verfestigt, vergleichbar wie Spinnweben sich zu Mustern verfestigt haben, wo die Kerne zusammengeklebt sind. Dieses verfestigte Bewusstsein löst sich normalerweise nicht, sondern „klebt“ zusammen und hält sich in diesem Zustand oft dein Leben lang. Beispiel: du hast dich mit einem Geschwister zerstritten. Diese Verfestigung kann bis zum Ende deines Lebens „halten“. Doch Bewusstsein ist voller Überraschungen. Wenn du diese Verklebung lange genug beachtest und in einer bestimmten Weise mit Neuem, „unverklebten“ Bewusstsein betrachtest, dann können sich auch diese Strukturen auflösen. die darin gebundenen Bewusstseinspartikel können sich wieder frei verteilen.
Zunächst aber wirkt deine Persönlichkeit wie ein Spinnennetz, und du bist dadurch konditioniert. Du hast oder erkennst nur bestimmte Handlungsmöglichkeiten und handelst entsprechend.
Der „inneren Kritiker“, eine der wichtigsten Persönlichkeitsstrukturen, wird in diesem Abschnitt nicht behandelt, da er noch in anderen Teilen des Lernprogramms ausführlich behandelt wird.

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 131a Objektbeziehungen

Die kleinste Handlungseinheit der Persönlichkeit wird Objektbeziehung genannt. Dies ist eine Einheit, die aus drei Bestandteilen besteht:
- aus dem „Ich“ gekennzeichnet durch ein Personalpronomen, kann also auch ein „wir“ sein,
- aus einer „Beziehung“; diese kann ein Gefühl sein oder eine Emotion
- und einem „Objekt“.

Das Objekt ist etwas, was dir gegenübersteht. Das kann ein Objekt im Außen sein wie etwa ein Baum, ein anderer Mensch, auch ein mehr abstraktes Objekt wie etwa eine Landschaft sein, und das kann etwas im Innern sein, eine Erinnerung, ein Schmerz, oder was auch immer.
Das Objekt im Außen ist dabei eine Projektion, eine Übertragung. Denn alle Objektbeziehungen sind innere Bewusstseinsstrukturen. Draußen mag es „Bäume“ geben, doch deine Beziehung dazu ist innen. Objekte sind daher Repräsentationen.

Ein Beispiel für eine Objektbeziehung könnte so lauten: „ich mag dich“. „Ich“ ist das Subjekt, „mögen“, das ist die Beziehung, in diesem Fall ein bestimmtes Gefühl, und „dich“ das ist ein Gegenüber. Von den Worten her nimmt man eine Person an. Ich kann aber auch sagen: “ich habe Hunger“, kann auch sagen: „ich mag mich“, dann ist das Objekt eben eine Reflexion auf was immer dieses „mich“ bedeuten mag. Objektbeziehungen strukturieren Erfahrung und damit auch Persönlichkeit. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen.

Objektbeziehungen beginnen immer mit einer Situation, in der diese besondere Beziehung das erste Mal vorkommt. Als Beispiel nehme ich jetzt ein Kind. Dieses Kind läuft um eine Straßenecke, ein Hund läuft auch um eine Straßenecke, beide treffen aufeinander. Das Kind erschreckt sich, der Hund erschreckt sich und nimmt eine Drohgebärde ein. Das Kind hat es vorher noch nie mit drohenden Hunden zu tun gehabt, vielleicht überhaupt noch nicht mit Hunden. Es wird nun durch den knurrenden, vielleicht auch durch den bellenden Hund, tief erschreckt. Diese Begegnung ist für das Kind eine neue Erfahrung, in der analytischen Beschreibung eine Objektbeziehung zu einem Hund. Diese Objektbeziehung kann schnell verallgemeinert werden, von diesem Hund der Begegnung auf Hunde der gleichen Rasse, vielleicht auf Hunde insgesamt. Das nächste Mal, wenn dieses Kind in die Nähe eines Hundes kommt, wird die vorhergehende Objektbeziehung reaktiviert, das Kind verhält sich furchtsam gegenüber dem Hund, der Hund hetzt hinter dem Kind hinterher. Und die erste Objektbeziehung wird durch eine zweite ähnliche ergänzt. Je nachdem, wie die Erfahrungswelt des Kindes sich weiterentwickelt, wird dieser Mensch als Erwachsener das ganze Leben lang Angst vor Hunden haben. Durch diese „Bewusstseinsstruktur Objektbeziehung“ wird das Leben dieses Menschen so strukturiert, dass dieser Mensch Gegenden vermeidet, wo Hunde frei rumlaufen. Das bedeutet: diese Objektbeziehung als Teil der Persönlichkeitsstruktur, beschränkt die Freiheit im Leben.

Zudem organisiert sich die menschliche Erfahrung in vielen Bereichen durch Verstärkung von Bestehendem. Dies kann deutlich am Aufbau von Objektbeziehungen erfahren werden. Diese verstärken sich, sie ziehen ähnliche Objekte, ähnliche Handlungserfahrungen an. Sie können zu einer immer stärker das Leben strukturierenden Struktur der Persönlichkeit werden.

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131b Das „innere Kind“

Die Persönlichkeit bildet sich ab dem ersten Lebensjahr aus und ist in ihren Grundzügen bis zum Ende des vierten Lebensjahrs ausgebildet, häufig auch schon damit abgeschlossen. Danach folgen in der Regel immer weitere Entwicklungsprozesse, so dass sich die Persönlichkeit immer mehr entfalten kann. Am Ende der Kleinkindzeit, also zwischen vier und sechs Jahren, ist das Kind zwar eine Persönlichkeit aber noch mit deutlich anderen Mustern, mit deutlich anderen Strukturen. Dementsprechend verhält sich das Kind noch als ein Kind.
Später als Erwachsene gibt es viele Situationen, in denen wir uns mit diesen Kindheitsstrukturen wieder verbinden, weil wir sie als Erinnerungsstruktur, als Erinnerungsbereich im biographischen Gedächtnis weiterhin zur Verfügung haben.
Besonders oft kann dies beobachtet werden, wenn Erwachsene mit anderen kleinen Kindern spielen, wenn Erwachsene manchmal mit „Kindersprache“ sprechen. Doch der Erwachsene hat zumeist die Wahl. Er kann sofort in die Erwachsenenposition zurückwechseln, das Kind jedoch kaum.

Entwicklungspsychologisch kann bei dem Kleinkind zwischen dem „freien“ oder „natürlichen“ Kind und dem „angepassten“ Kind unterschieden werden. Dies sind Verhaltensmuster. Das „freie“ Kind folgt seinen augenblicklichen Impulsen und unternimmt oft völlig unvorhergesehene Dinge: es rennt plötzlich auf die Straße, verhält sich nicht konform. Das „angepasste“ Kind hingegen ist „brav“, sozial anerkannt. Genauso angepasst verhält sich aber auch ein Kind, das überall rebelliert, quengelt.

Ein besondere Grund, warum sich viele Erwachsene gerne mit ihrem inneren Kind identifizieren, und ihm sogar ein eigenes Leben, eine eigene Identität zuschreiben, sehe ich darin, dass die Kleinkinder noch einen einfachen Zugang zur Erfahrungsbereichen des Seins haben, besonders zu den Seinsqualitäten, z.B. zum Staunen, zum Mitgefühl usw. Wenn du als Erwachsener auf eine Weise Kontakt zu deinem inneren Kind aufnehmen kannst, kommst  du dadurch erneut in den Kontakt  mit deinen Seinsqualitäten, zu denen du als Kleinkind Zugang hattest, dann ist bleibt dieser Kontakt das Anziehende am eigenen, „deinem inneren Kind“.

Dennoch ist das innere Kind in meiner Erfahrung kein Lebewesen für sich, sondern eine Erinnerungsstruktur. Denn du wirst zwar gerne den Zugang zu Seinsqualitäten aufnehmen wollen, die das innere Kind noch haben kann. Doch du wirst vermutlich gern auf die Einschränkungen in der Handlungsfähigkeit dieses inneren Kindes verzichten. Nicht umsonst ist kleinkindhaftes Verhalten im öffentlichen Straßenverkehr verpönt bis verboten, weil es unvorhersehbar und gefährlich ist.

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131c Emotionen

Eine weitere Struktur der Persönlichkeit wird durch Emotionen gebildet. Emotionen sind in meinem Verständnis eine Kombination von Gefühlen und Entstehungshintergründen von Gefühlen.

Du hast Gefühle im Hier und Jetzt.  Du siehst z.B. eine Person und du magst ihn oder sie. Wenn es dabei bleibt, dann empfindest du ein Gefühl der Zuneigung oder Verbundenheit als Gefühlswallung. Dies Gefühl beginnt bewusst zu werden, „wallt auf“ und verebbt wieder.
Oft jedoch wird dann eine neue Entstehungssituation für eine Emotion gebildet. Wenn du z.B. solch eine Person mit diesem Aussehen, mit dieser Ausstrahlung noch niemals vorher gemocht hast, also erst jetzt, dann wird sich der Hintergrund dieser Situation zusätzlich zu dem Gefühl einprägen. Hintergrund heißt hier: welcher Ort, welche Personen waren dann noch anwesend, welche Farben, welche Gerüche usw. Damit hat sich das Gefühl mit dem Entstehungshintergrund zu einer Emotion zusammengefügt.
Wenn du das nächste Mal in eine ähnliche Situation kommst, mit einer anderen Person, die ein paar Ähnlichkeiten der früheren Person hat, oder wo die Ähnlichkeiten der Ort sind oder andere Personen, dann wird  dich die Persönlichkeitsstruktur der Emotion zurückführen zum ersten Entstehungshintergrund dieser spezifischen Emotion. Und vielleicht wirst du ebenfalls ein Gefühl des Mögens für die jetzt fremde neue Person entwickeln, durch diese Rückbindung an die erste Situation mittels der Emotion. Ist diese Emotion erst einmal entstanden, so werden damit neue Situationen verknüpft und die frühere Emotion mit der neu hinzugekommenen Emotion die bestehende Emotion immer mehr verstärken.
Durch die Auswirkungen von Emotionen kann es passieren, dass du eine Person anders und dadurch neu kennenlernst. Diese Person ruft in dir ein bestimmtes Gefühl hervor, dieses Gefühl ist dadurch bestimmt, dass es dich an die Tante Klara erinnert als du 6 Jahre alt warst. Tante Klara hat damals besonders leckere Süßigkeiten mitgebracht. Dieser Rückerinnerungs- und Übertragungsprozess wird auch als „emotionale Entführung“ bezeichnet.

Über Emotionen als Persönlichkeitsstrukturen wird es im Laufe des Lernprogramms noch ausführlichere Informationen geben. Emotionen verketten dich mit deiner Vergangenheit. Wenn du mit Hilfe des Führerscheins auch lernen willst andere Bereiche des Selbst wahrzunehmen und andere Bewusstseinsstrukturen zu erleben, kannst du lernen die Verkettung durch Emotionen zumindest bewusst zu halten.

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131d Dynamiken der Persönlichkeit

Viele Persönlichkeitsstrukturen sind nicht dynamisch, sie sind stabil und gleichförmig. Wenn du z.B. eine Abneigung gegen etwas Bestimmtes hast, dann wirst du die Abneigung nicht häufig verändern. Manche Persönlichkeitsstrukturen sind jedoch dynamisch, nicht stetig. Sie werden mal häufiger, mal stärker, mal schwächer. Der Umgang mit ihnen ist auch als Erwachsener deutlich schwieriger.

Ein Beispiel für eine dynamische Struktur ist eine emotionale Entführung. Du bist z.B. als Erwachsener in deiner Handlungsfähigkeit als Erwachsener und besuchst deine alten Eltern. Innerhalb von 20 Minuten spätestens bist du emotional entführt und verhältst dich situationsabhängig mehr oder weniger intensiv deinen Eltern gegenüber wie ein kleines Kind. Dies führt zwar häufig zu all den Vorteilen des kleinen Kindes, z.B. umsorgt zu werden. Zu den Nachteilen des kleinen Kindes gehört, nicht als Erwachsener unter Erwachsenen gegenüber deinen Eltern aufzutreten zu können. Du möchtest also in Zukunft nicht mehr beim Besuch emotional entführt werden und nimmst dir vor, „cool“ zu bleiben. Doch diese Absicht hält in der Regel nicht lange an. Vieles am Kontakt mit deinen Eltern, mit dem Ort wo die Eltern leben, baut sich zu einer emotionalen Entführung auf und führt dich in ein Kindheits-Ich zurück.
Das ist eine häufig vorkommende Persönlichkeitsdynamik.  Die meisten Dynamiken haben jedoch eine systemische Struktur. Sie lassen sich mit Regeln der Systemtheorie lebender Systeme gut erklären. Hier einige Hinweise.
In lebenden Systemen gibt es oft sich aufschaukelnde Prozesse, das heißt etwas in dir nimmt zu. Du wirst z.B. erregt, aufgedreht. Eine gegenteilige Dynamik macht die Prozesse immer langsamer und dumpfer. Es führt zu einen Erstarrungsprozess, etwa bei einer Depression.
In einer Familie oder im Zusammenleben mit einem Partner findest du dich immer in einer Familiendynamik wieder, wo alle sich ständig gegenseitig beeinflussen. Zugleich nimmst du ständig Rollen ein die dir angetragen werden, die du vielleicht gar nicht leben willst weil alle, du auch!! aufeinander bezogen seid.

Zusätzlich zu den ständig unterschiedlichen Anforderungen durch deine Familiendynamik bist du auch mit den systemischen Problemen deiner Ursprungsfamilie verbunden. Diese  liegen manchmal so weit zurück, dass du die damals beteiligten Personen überhaupt nicht mehr vor dir hast oder kennst. So tragen in Deutschland nach dem Krieg immer noch viele Enkel und Urenkel die damalige Familiendynamik in ihr jetziges Leben herum. Noch schwieriger an dieser Situation ist, dass diese Anforderungen verzerrt oder unvollständig sind, da sie aus zweiter Hand stammen. Doch allgemein gilt: Noch Jahrzehnte nach deiner Sozialisation bestimmen immer noch Dynamiken aus deiner Ursprungsfamilie deine heutige Persönlichkeitsstruktur.
Da die Persönlichkeitsstrukturen dein Leben doch recht weit bestimmen, werden sie in späteren Abschnitten noch besonders zum Thema gemacht.

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131e Das Abwehrsystem

 

Das Abwehrsystem der Persönlichkeit bildet sich schon früh heraus.  Es führt dazu dass du nur Teile der Welt an dich heran lässt. Die positive Seite des Abwehrsystems besteht darin dass es dich vor Anforderungen schützt, die du real nicht ertragen kannst, weil du noch nicht über genügend Ressourcen verfügst, oder dass du diese Anforderungen nicht ertragen willst, weil du meinst, dass du nicht über genügend Ressourcen verfügst.
Selten wird nur eine Methode der Abwehr allein genutzt, sondern meistens ein ganzes Paket von unterschiedlichen Methoden als System zusammengesetzt und eingesetzt. Dies erfolgt weitgehend vorbewusst. Du entscheidest nicht bewusst und merkst es manchmal auch gar nicht. Du kannst die Wirkung jedoch später anhand von besonderen Merkmalen erkennen.
Wenn dich ein Abwehrsystem vor der Teilnahme am Lernprojekt schützen will, du jedoch dein Leben durch das „ganze Selbst“ bestimmen lassen willst, ist es wichtig die einzelnen Methoden dieser Abwehr besser zu kennen. Dies um sie überhaupt zu erkennen, sie im Vollzug zu erkennen, sie im Zusammenwirken mit anderen Methoden zu erkennen, damit du nicht im extremen Fall bis zur Handlungsunfähigkeit geschützt wirst.

  • Und nun beschreibe ich 9 Methoden, die zumeist so unbewusst daherkommen, dass sie häufig nicht als Abwehrmechanismen erkannt werden.
    Die erste Methode wird Abspaltung genannt. Diese Methode wird beim Kleinkind im Laufe der Entwicklung zuerst ausgebildet, wenn das Kind z.B. etwas nicht ertragen kann, etwa eine Maßregelung durch eine Beziehungsperson. Dann sagt das Kind zu sich „das bin nicht, ich bin nicht gemeint“ oder „das war ich nicht“. Abspalten bedeutet also, dass dieser Teil vom Kind nicht zum Ich gezählt wird.
    Die zweite Methode, die Verdrängung, ist schon eher mental ausgerichtet. Sie bedeutet „das will ich nicht sehen“, „das will ich nicht wahrhaben“ und entspricht der körperlichen Abwendung.
    Eine dritte Methode, die Isolierung, ist mental anspruchsvoller. Das Kind sagt „ich habe nur das getan und mit dem Anderen, dessen ich auch beschuldigt werde, habe ich nichts zu tun“.
    Die vierte Methode wird Reaktionsbildung genannt. Sie besteht darin, dass das kleine Kind  eine bestimmte Situation wahrnimmt, die etwas Abzuwehrendes beinhaltet und sofort darauf reagiert. Das Kind beschäftigt sich nicht erst mit der Situation und überlegt, was jetzt zu machen ist, sondern reagiert automatisch. Ein Kind, welches Kakao ausgeschüttet hat fängt sofort an zu weinen, anstatt sich auf die Situation einzulassen, wer es getan hat und warum das geschehen ist.
    Den fünften Abwehrmechanismus: Verschieben kennst du vielleicht auch aus deinem Alltag. Er wird durch den Spruch gekennzeichnet „was du heute kannst besorgen, verschiebe doch lieber auf morgen“. Wenn du eine unangenehme Begegnung vor dir hast, verlege deinen Terminkalender. Dann kannst du diese unangenehme Begegnung nach hinten verschieben.
    Der sechste Abwehrmechanismus: Projektion wird noch gesondert behandelt. Hier jedoch so viel: Eigenschaften, die dir selber unangenehm sind, die nicht in dein Selbstbild oder in dein Idealbild passen, projizierst du, überträgst du auf andere. Wenn du diese Eigenschaften dann bei anderen wahrnimmst, und deine Reaktionen auf diese heftig ausfallen, dann kannst du daran erkennen, dass du projizierst und Reaktionen auf dieses Verhalten bildest.
    Eine siebte Methode heißt verleugnen. Dies ist ein weiterer Abwehrmechanismus, der im Volksmund auch unter „nicht wahrhaben wollen“ bekannt ist. Bei den jetzt vermehrt aufkommenden fake-news sind oft Verleugnungen enthalten.
    Die achte Methode wird rationalisieren genannt. Beim Rationalisieren wird ein gefühlsmäßig bedeutsamer Sachverhalt von Gefühlen und Emotionen, vom Bauch und Herz getrennt. Mit diesem „entleerten“ Sachverhalt brauchst Dich also nicht mit den enthaltenen Gefühlen und Emotionen auseinanderzusetzen.
    Manches Abwehrsystem ist so stark verfestigt, dass es sich auch in Muskelspannungen und Muskelverspannungen niederschlägt und so zum typischen Charakterpanzer wird, die neunte Methode.

Wenn du aufgrund der Auswirkungen deines Abwehrsystems schon von deinem muskulären Apparat her eingeschränkt bist, kannst du im Leben gar nicht mehr frei sein. Das Abwehrsystem hat sich also im Sinne des Wortes verfestigt und du ebenso.
Im Übungsteil sind viele Übungen enthalten, mit denen du Verfestigungen abbauen kannst.

AUDIO:
MINDMAP:

1.3.1.e Das Abwehrsystem

132 Die ungeformte Seele als Person

Die Person als ungeformte Seele

Der nicht konditionierte Bereich der Seele wird oft auch als Person benannt, um ihn von der konditionierten Struktur der Persönlichkeit zu unterscheiden. In der Tradition der Sufis heißt dieser Teil auch „die Perle von unschätzbarem Wert“ oder „die Perle“.
Woran merkst du, dass du in diesem Bewusstseinszustand bist? Dies kannst du besonders daran erkennen, dass die Welt und die Ereignisse zu dir kommen, es ereignet sich. Du musst nicht mit der angestrengten Persönlichkeit hinter ihnen her zu hetzen, zu rennen. Deine Fähigkeiten und Fertigkeiten wachsen dir nach den Erfordernissen der Situation zu. Du brauchst sie nicht extra zu dir zu holen. Dieser Teil der Seele kommt ab und zu im Bereich des „Flow“ vor, wo du voll funktionierst, ohne darüber nachzudenken und alles Wichtige zu dir kommt.

Audio:

133 Speicherung im Gehirn

Für den Bereich des Führerscheins ist folgende Erkenntnis der Neurowissenschaft wichtig. Im Gehirn werden zumindest zwei unterschiedliche Bereiche eines Gedächtnisses lokalisiert: das biografische Gedächtnis und das Arbeitsgedächtnis.
Im biografischen Gedächtnis sind alle Informationen für unsere Persönlichkeit gespeichert: das erste Verliebt sein, Prüfungen usw.
Im Bereich des Arbeitsgedächtnisses hingegen sind alle Informationen über unsere Kenntnisse von der Welt, unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten gespeichert, z.B. das Ausfüllen einer Steuererklärung.
Wir können ohne Einbezug der Persönlichkeit voll in der Welt funktionieren. Wir wissen z.B., dass wir in Deutschland sind und können zuerst nach rechts gucken, ohne die Persönlichkeit in der Form des inneren Kritikers bemühen zu müssen.

AUDIO:

134 Das unbegrenzte Selbst

Das unbegrenzte Selbst

Das unbegrenzte Selbst erfährst du dann, wenn du mit dem Bewusstseinszustand des Seins verbunden bist.  Der Bewusstseinszustand des Seins hat einige Besonderheiten, die seine Wahrnehmung zu Anfang erschweren. Die erste Erschwernis ist, das das Sein so alltäglich, so selbstverständlich ist, dass du es nicht wahrnimmst. Du nimmst es erst dann wahr, wenn du aus der Selbstverständlichkeit herausgezogen, herausgeschleudert wirst.

Beispiele im Außen: wenn du nachts in den Sternenhimmel schaust und versuchst, diese Unendlichkeit, die du da spürst, zu erfassen, dann kann es dir schaudern. Wenn du das Schaudern zulässt, dann kannst du aus dem normalen Zustand der Persönlichkeit herausgezogen werden. Und du kannst ganz plötzlich die Erfahrung machen, "oh …" Das „oh…" ist die emotionale Reaktion, die gefühlsmäßige Reaktion auf den Zustand, den du jetzt gerade wahrnimmst, eine Erfahrung des Seins. Da diese Wahrnehmung so selbstverständlich ist und zugleich so gänzlich anders als alles andere, was du sonst wahrnimmst, kann es dir schwer fallen, diesen Zustand zu beschreiben. Wenn du es tätest, würdest du vielleicht stammeln oder stottern. Dichter können es mit Lyrik versuchen, mit Poesie. Wenn du dann die Gedichte liest oder hörst, kannst du wieder in Kontakt mit dieser Qualität kommen, die so schwer auszudrücken ist, weil wir es nicht gewohnt sind, sie auszudrücken.

Ein weiteres Beispiel für die Wahrnehmung des Seins: du bist im Hochgebirge, stehst vor einem Bergsee, nimmst plötzlich die Tiefe und Unergründlichkeit dieses Bergsees wahr und „hörst“ und spürst die Stille und nimmst so etwas wie die Seinshaftigkeit des Bergsees, der Berge, der Luft wahr. Erneut bist du aus der normalen Wahrnehmung herausgerissen.

Ein weiteres Beispiel: du schaust in die Augen eines Säuglings, der Säugling schaut dich an und schaut dich wieder nicht an. Da ist etwas in seinem Blick, da ist etwas an dem Säugling, während der Säugling dich ruhig und unbewegt anschaut. Und dieses „etwas“ zieht dich für einen kleinen Augenblick hinein in den Zustand des Seins.

Ein weiteres Beispiel: du bist im Wald und stehst vor einem Baum. Du siehst die gewohnten Umrisse und Merkmale des Baumes. Und plötzlich nimmst du das So-Sein des Baumes wahr, die besondere Ausstrahlung, die besondere Qualität, die von dem So-Sein des Baumes ausgeht, eine Qualität, die du vielleicht noch nie vorher an ihm wahrgenommen hast und die neu für dich ist.  Und erneut nimmst du für einen Augenblick das Sein wahr.

Beispiele im Inneren: wenn du tief entspannt bist und nichts anderes willst, nichts anderes brauchst, als nur zu sein, dann bist du im Sein, dann hast du Seinserfahrung. Das kann geschehen, wenn du in der Badewanne liegst und ein entspanntes Bad nimmst. Du kannst dann die Erfahrung haben, dass du ganz bei dir bist wenn du ganz bei dir bist, und bei dieser Erfahrung einen Augenblick bleiben kannst, und die besondere Qualität dieser Erfahrung erkunden kannst, dann kannst du zu der Wahrnehmung kommen dass du jetzt, in diesem Augenblick im Sein bist.

Als Kleinkind hast du oft nur dagesessen und warst in dich gekehrt, mit dir zufrieden: du wolltest nichts, du brauchtest nichts, du warst im Sein. Diesen Zustand konnte deine Bezugsperson jedoch nicht an dir erkennen. Menschen, die im Bewusstseinszustand der Persönlichkeit verhaftet sind, können dies meistens nicht erkennen. Sie mögen dann zu dir als Kleinkind gesagt haben; „hast du schon dein Zimmer aufgeräumt“ oder was auch immer.
Die Einflussnahme der Bezugsperson haben dich vermutlich aus dem Zustand des Seins rausgezogen und dir gleichzeitig das Empfinden vermittelt, im Zustand des Seins zu sein, sei nicht in Ordnung, dass es deinen Bezugspersonen, z. B. deinen Eltern nicht gefallen hat, vielleicht sogar, dass es was Schlimmes ist. So hast du hast in der Zeit des Kleinkindes und des kleinen Kindes den Bezug zum Sein verloren. Du hast den Bezug vergessen, verdrängt, wie auch immer. Aber dein inneres Kind erinnert sich noch daran. Du kannst es im Außen wahrnehmen anhand der Beispiele, die ich dir eben gerade angeboten habe. Wenn du Zugang zum Sein hast und darauf achtest, was zu dir kommt, was sich ergibt, dann kannst du unterschiedliche Erfahrungen mit Unendlichkeit machen. Unendliche Räume, unendliche Schwärze, du kannst Erfahrung mit bestimmten Qualitäten machen, die ich Seinsqualität nenne und die später noch weiter beschrieben werden.
Ich führe an dieser Stelle einige Seinserfahrungen an, die für sich einzeln auftauchen können: unterschiedliche Erfahrungen mit Liebe, innerer Stärke, Mitgefühl. In der Analogie wären das die einzelnen Farben eines Farbspektrums.

Aber es können auch andere Seinsqualitäten auftauchen, die aus mehreren Qualitäten zusammengesetzt sind, das entspräche den gemischten Farben des Farbspektrums, z.B. innere Weisheit, universaler Wille.

Es sind aber auch Grundbestandteile des Seins unterscheidbar, also den Eigenschaften, die in jeder Seinserfahrung enthalten sind, Eigentümlichkeiten, die jede Erfahrung ausmachen. Das Sein ist sich seiner selbst bewusst, verfügt über ein Wissen darüber, wessen es sich bewusst ist. Das Sein ist von einer bestimmten Qualität von Liebe durchzogen. Das Sein enthält eine erschaffende Qualität, etwas Schöpferisches, eine Potentialität. Jedes Phänomen, was du wahrnimmst, wird erschaffen, und jedes Phänomen gibt es nur in dieser einzigen einzigartigen Weise. Das Sein enthält eine Dynamik, die in jeder einzelnen Erscheinung wahrnehmbar ist.
Die Analogie mit der Brechung der Lichtstrahlen ist auch für die Anwendung auf die Seinsdimensionen brauchbar. Du nimmst das Sein insgesamt war und du kannst das Sein auch durch eine Erkundung in seinen unterschiedlichen Dimensionen wahrnehmen. Seinsdimensionen bedeuten Eigenschaften, die in jeder Seinswahrnehmung aufzufinden sind.
Du kannst reine Bewusstheit wahrnehmen, du kannst erkennende Wahrnehmung mit dem Wissensaspekt wahrnehmen, du kannst die universale Liebe als Güte wahrnehmen, die Potentialität in der Abfolge von Erscheinungen und die dynamische Kreativität kann dir deutlich werden, wenn du siehst, wahrnimmst, das jedes Blatt eines Baumes anders ist.
Im religiösen Zusammenhang wird gesagt, dass Gott sich in seiner Schöpfung nicht wiederholt.
Ich fasse diese kurze Beschreibung der Dimensionen zusammen: reine Bewusstheit, erkennende Wahrnehmung, universale Liebe, Potentialität, dynamische Kreativität.

Das Lernprogramm ermöglicht, dass du lernen kannst, durch das ganze Sein bestimmt zu sein. Das Selbst, das du im Sein wahrnehmen kannst, ist das, was du in diesem Augenblick im Sein wahrnimmst. Du bist in diesem Augenblick das Selbst des Seins, aber nicht nur du, sondern alle anderen Menschen ebenfalls, ob sie jetzt den Bewusstseinszustand des Seins wahrnehmen können, also ihr Selbst im Sein wahrnehmen können oder nicht.
Die Eigentümlichkeiten des Seins, das heißt die Eigenschaften, an denen du erkennst, dass du mit dem Bewusstseinszustand des Seins verbunden bist, habe ich unter unbegrenzt oder grenzenlos zusammengefasst, mit dem Paradox, dass du immer nur einen Teil wahrnimmst und es noch ganz andere Aspekte von Sein gibt. In der Mystik wird davon ausgegangen, dass das Sein unergründlich und schon immer da ist. Die Eigenschaften des Seins sind Teil jeder Wahrnehmung.

Auch dieses Kapitel ist nur eine kurze Beschreibung von dem, was durch Übungen weiter erschlossen werden wird.

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