Kartierung von Bewusstseinszuständen

"Straßenkarten"

Kartierungen von Bewusstseinszuständen

Im Straßenverkehr hast du fast immer ein Ziel, d.h. einen Ort zu dem du fährst. Um diesen zu finden benutztest du früher häufig Straßenkarten. In denen orientierst du dich in welcher Richtung du fahren musstest, um mit möglichst wenig Umwegen von hier nach dort zu kommen.

Das ganze Selbst mit den vielen unterschiedlichen Bereichen und Ebenen kann ebenfalls wie ein unterschiedliches Netz von Straßen für unterschiedliche Orte angesehen werden. Ich unterscheide als Bereiche: das Sein, die ungeformte Seele, die geformte Seele oder Persönlichkeit und gebe in den Straßenkarten Hinweise, die dir helfen können, dich besser zu orientieren, damit du dich nicht verfährst oder nicht irgendwo stecken bleibst.
Natürlich kannst du dich bewusst verfahren, wenn du es bewusst oder unbewusst so willst, oder mit Absicht stecken bleiben. Aber wenn du richtig und auf dem kürzesten Weg durchkommen willst, brauchst du eine gute Kenntnis des Straßennetzes. Genauso wie du Straßen anhand ihrer Wegführung oder Straßenschildern erkennst, und auch Autobahnen anhand von Straßenschildern, erfolgt in diesem Kurs die Kennzeichnung an den Merkmalen der Ebenen des Selbst.

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411 Der Bewusstseins-zustand Sein

Der Bewusstseinszustand „Sein“

Das „Sein“ ist ein Bereich des Bewusstseins, der für die meisten Menschen nicht so bekannt ist. Zwar sind mehrere Eigenschaften auszumachen, anhand denen du sofort erkennen kannst, ob du im Sein bist oder nicht, doch diese gehören in unserer Kultur nicht zur Allgemeinbildung.

Die erste Eigenschaft des Seins benenne ich als „nicht-dualen Zustand“. Es gibt in der Wahrnehmung nicht die bekannte Verbindung zwischen dem „ich“ und dem „das“ oder dem Objekt der Wahrnehmung. Kleinkinder sprechen manchmal noch so. Du nimmst etwas wahr, etwa einen Spiegel, und wenn du es benennen würdest, würdest du wie ein Kleinkind sagen „Spiegel sehen“ oder „Auto haben“. Das „ich“ ist verschwunden oder als nicht wichtig irgendwo ganz hinten im Wahrnehmungsfeld vorhanden. Doch das „ich“ spielt keine Rolle. In der Grammatik westlicher Sprachen wäre es das Gleiche als ob das das „ich“ als Personalpronomen nicht vorhanden ist und alle Schilderungen nur von den Tätigkeitswörtern ausgehen, nur von den Verben. Die Kleinkinder benutzen die duale Beschreibung oft erst dann, wenn von ihnen gefordert wird: „Sag mal einen richtigen Satz“ Ihre Antwort z. B.: „Ich hab ein Auto“.
Das Sein ist ein Wahrnehmungsbereich der viel umfänglicher ist, als das, was du aus deiner normalen Außenweltwahrnehmung und Innenweltwahrnehmung kennst. Es gibt bestimmte Wahrnehmungsperspektiven dich ich hier hervorhebe, damit du weißt, wo du bist.

Die zweite Eigenschaft ist eine grenzenlose Weite. Am nächsten kommst du der Erfahrung dieser grenzenlosen Weite, wenn du nachts in den Sternenhimmel schaust. Dann kann es vorkommen, dass du plötzlich von etwas erfasst wirst, das dich schaudern lässt. Dann spürst du etwas von der Unendlichkeit, von der grenzenlosen Weite, die du dort erfährst.
Im Sein spürst du die Weite, du siehst sie nicht. Es gibt einfach keine Grenzen!

Die dritte Eigenschaft ist das Entstehen und Vergehen von Phänomenen. In dieser Weite tauchen Phänomene auf, können auch Seinsqualitäten auftauchen, erscheinen, wie Liebe oder Kraft. Es können aber auch optische Phänomene auftauchen: du siehst ein strahlendes Licht oder Diamanten. Diese Phänomene tauchen auf, und wenn du es geschehen lässt, wenn du also im Seinszustand bleibst, vergehen sie auch wieder.
Bei der bewussten Wahrnehmung von Entstehen und Vergehen kannst du erfahren, was bleibt, was da ist, während gerade Phänomen vorbei passieren.

Eine weitere Eigenschaft ist der Übergang vom Wahrnehmen des Seins zum „Sein“ des Seins.
Zunächst nimmst du diese Phänomene wahr. Du siehst sie oder spürst sie oder hörst sie. Das „du“ ist die Individualität, nicht das „ich“. Du spürst z.B., dass Liebe auftaucht. Das „du“ ist der Geruch, der Geschmack, das Spüren des Individuellen. Der Übergang erfolgt dann, wenn du Liebe „bist“. Du hast nicht nur Liebe, du erkennst nicht nur Liebe, sondern du bist die Liebe. Aus einer auf den Körper bezogenen Perspektive könntest du sagen, du „verkörperst“ zur Zeit diese Qualität.

Eine weitere Wahrnehmungsperspektive ist, dass du beides zugleich wahrnimmst. In der Gleichzeitigkeit nimmst du zusätzlich die grenzenlose Weite wahr- und du bist das Phänomen, die Erscheinung.

Die Selbstwahrnehmung im Sein ist, wenn du das Phänomen „bist“. Das bist „du“. Und es taucht auch kein „ich“- Selbstbewusstsein auf. Wenn du die Weite bist, das bist „du“, wenn du die Weite wahrnimmst, du aber ohne, dass „ich“ auftauchst.

Eine Metapher für die Wahrnehmung ist, dass das Sein der Ozean ist. Vom Ozean nimmst du gewöhnlich die Wellen wahr, wenn du am Strand bist oder wenn du mit dem Schiff fährst. Du nimmst die Bewegung und das was du bist wahr, kannst aber auch die Welle sein. Du kannst dich als Welle im Ozean wahrnehmen, nicht getrennt von anderen Wellen, sondern mit ihnen gänzlich verbunden. Oder du kannst dich als Ozean selbst wahrnehmen. Oder dich in der Gleichzeitigkeit sowohl als Ozean als auch als Welle wahrnehmen.

Zusammengefasst: Immer dann, wenn das „ich“ verschwunden ist, vielleicht nur noch als ein Erinnerungsfaden irgendwo vorhanden ist, wenn du keine Grenzen mehr wahrnehmen kannst,  wenn du spürst, die Grenzenlosigkeit zu sein,  in welcher auch immer auftauchenden Form, dann bist du im Bereich des Seins.

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412 Die ungeformte Seele

Die ungeformte Seele

Ich nenne die ungeformte Seele die „Person“.

Was ist die ungeformte Seele? Woran erkennst du, dass du im Bewusstseinszustand der ungeformten Seele bist?
Es ist der Bereich, in dem du dich spürst, indem du achtsam auf das bist, was in dir und scheinbar außerhalb von dir passiert. Du lässt geschehen, was in dir hochkommt, was du wahrnimmst ohne, dass es gleich ein „richtig oder falsch“, gut oder schlecht, gibt, was versucht, dich funktional einzupressen um dich dadurch zu fixieren, zu formen. Das bedeutet mehr als Achtsamkeit, das ist für mich Präsenz.
Du lässt dann zu, dass auch noch etwas anderes geschieht, das jenseits deiner normalen Muster, deiner normalen Anschauungen passiert.

Die Persönlichkeit wird gleich auf dich reagieren: das ist aber gefährlich, denn dir kann dort etwas Gefährliches zustoßen. Nur – etwas wirklich Gefährliches, deinen Leib, deine Seele und dein Körper angreifendes, zerstörendes, wird dir auch in diesem Zustand nicht zwangsläufig oder ungehindert zustoßen. Denn deine Instinkte funktionieren nach wie vor. Nach wie vor wirst du reagieren, wenn du angegriffen wirst, du lässt den Angriff nicht so einfach geschehen, sondern verteidigst dich.  Wenn z.B. ein Laster auf dich zufährt, wirst du durch deine Aufmerksamkeit die Straße verlassen und dich aus der Gefahr begeben.
Du wirst in diesem Zustand für Neues sein. Du wirst in diesem Zustand erfahren können: was ist „Altes“. Das „Alte“ nimmst du daran wahr, dass es sich „schal“, „muffig“, „verbraucht“ riecht und anfühlt.
Das „Neue“ erfährst du durch die Qualität der Frische. Bei der Begegnung mit einer neuen Person ist das offensichtlicher. Aber auch die Begegnung mit einer Person, die du schon lange und sehr gut kennst, kann „neu“ sein, wenn du etwas Neues an ihr entdeckst.

In diesem ungeformten Teil der Seele, also als Person, hast du Zugang zu allen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die du bisher entwickelt hast, nur hier auch außerhalb der Strukturen deiner Persönlichkeit.
Wenn du eine Fähigkeit entwickelt hast, z.B. das Radfahren, wird dir im Zustand der Persönlichkeit immer der innere Kritiker rückmelden: du machst das jetzt gut oder du machst das jetzt schlecht. In dem ungeformten Bereich der Seele fährst du Rad und genießt es, ohne dass der innere Kritiker mit dabei ist.
Da die normale Erfahrung jedoch darauf beschränkt ist, dass der Zugang zu deinen Fähigkeiten und zu deinen Ressourcen von deiner Persönlichkeit bestimmt und dadurch kontrolliert wird, ist es dir zunächst wenig bekannt, das es auch im Bereich der ungeformten Seele einen Zugang zu deinen Ressourcen und Fähigkeiten gibt.
Dieser Zustand ist auch als „flow“ bekannt, also als ein „fließen“. Wenn z.B. Chirurgen in den Zustand des Flow geraten, verfügen sie in einer sehr professionellen Weise über ihre Fähigkeiten, ohne dass der innere Kritiker einsetzt.
Du kannst diesen Zustand daran erkennen, dass dir Fähigkeiten zur Verfügung stehen, sie sind einfach da, sie fließen dir zu. Und nicht du suchst nach den Fähigkeiten, sagst, was könnte ich jetzt noch machen und was müsste ich jetzt bedenken und so weiter.

Zusammenfassend: In dem ungeformten Teil deiner Seele, kommen deine Fähigkeiten zu dir anstatt, dass du sie herbeibringen, kontrollieren, beherrschen und verändern musst.

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413 Die geformte Seele

413 Die geformte Seele

Zunächst eine Beschreibung meines Verständnisses des Phänomens „Seele“
Die „Seele“ ist ein Begriff mit vielen Deutungen, und bisher letztlich unerklärbar. Deshalb zunächst, wie verstehe ich Seele?
Die Seele ist das individuelle Feld des Bewusstseins aber noch viel mehr. Sie ist das Organ des individuellen Bewusstseins und ihr Organismus.
Organ heißt, dass das individuelle Bewusstsein hier seinen Ort, seinen Platz hat.
Organismus heißt, dass die Seele ein Lebewesen ist, lebt, Energie erhält und verbraucht, wächst und als Organismus auch vergeht.
Und die Seele ist zunächst weitgehend ungeformt aber gänzlich formbar. Was das für den Lernprozess bedeutet, erkläre ich jetzt durch eine Analogie.

Stelle dir einen Gebirgssee vor, unbewegt. Der Gebirgssee steht für das insgesamt vorhandene individuelle Bewusstsein der Seele. Du wirfst einen kleinen Stein in den See. Der Bereich, wo die kleinen Wellen auftauchen, das ist der Bereich, der für die Dauer durch die Wellen geformt ist. Und du bist es, der, auf welche Weise auch immer, die kleinen Wellen hervorgerufen hat.

Innerhalb der Seele unterscheide ich den Bereich der Seele, der geformt ist  (in der Analogie durch die Wellen in eine besondere Form gebracht) als „geformte Seele“ und den Bereich, der durch die Wellen nicht berührt ist, also unbewegt ist, als die  „ungeformte Seele“. Durch die Wellen nicht berührt heißt nicht, dass dieser Teil unbewegt sein muss, sondern frei Formen annehmen und ändern kann. Deine Entwicklung fängt an mit einem kleinen geformten und einen fast unendlichen großen ungeformten Teil.

Ich fahre fort mit einer längeren Beschreibung der geformten Seele, weil das der Bereich von deinem Selbst ist, den du bisher am besten kennst.
Mit diesem hast du dich bisher vielleicht ganz ausschließlich identifiziert. Für dich ist das nicht ein Begriff wie „geformte Seele“ sondern das bist du.
Die „Formen“, wie in der Analogie des Gebirgssees die Wellen, die Muster und Strukturen dieses Teils der Seele, sind persönlichkeitsgeschichtlich entstanden. Alles woran du dich in deiner Biographie erinnerst, gehört dazu. Ich nenne diesen Teil der Seele die Persönlichkeit und werde gleich noch auf die Phasen deiner „Formung“ eingehen.

Doch zunächst noch eine Analogie über die Vor- und Nachteile der Formung. Ich verwende als Analogie einen Schwarm. Vielleicht hast du schon mal im Film einen Heringsschwarm gesehen. Die Heringe haben über den Instinkt vermittelt gelernt, sich als Schwarm gegenüber Fressfeinden zu verhalten. Der Schwarm kann sich z.B. bei Angriff in ein kugelförmiges Gebilde zusammenziehen. Hierdurch wird es in Fressfeinden schwer, den ganzen Schwarm mit den manchmal vielen tausenden von Fischen zu teilen um damit die einzelnen Fische heraus zu fassen. Bisher hat dieses in der Evolution entstandenen Muster, diese Struktur zur Selbstverteidigung, einigermaßen funktioniert, manchmal aber auch nicht. Heutzutage ist ein „Schwarm“ für die modernen Fangboote ein „gefundenes Fressen“.
Die Eigenheiten der geformten Seele bestehen besonders darin, dass sie geschichtlich sind und auf deren Begebenheiten hin ausgerichtet sind. Dieser Teil der Seele unterstützt dich nicht, ein „ganzes“ Selbst zu werden und dann zu sein. Dieser Teil der Seele ist so etwas wie ein Überlebensmuster, welches manchmal hervorragend funktioniert und manchmal aber auch gar nicht.

In einer weiteren Analogie führe ich die Wisente an.  Wisente sind große Büffeltiere, die in der Arktis leben. Sie haben als Verteidigungsmechanismus gelernt, sich im Kreis zusammenzustellen und so von außen geschützt zu sein gegen Fressfeinde. Es sind mächtige Tiere, die sich sehr gut verteidigen können und daher auch ihre biologische Nische gefunden haben. Diese Muster der Abwehr ist jedoch ist nicht angepasst, wenn Eskimos mit Gewehren kommen und die Wisente aus der Distanz heraus abschießen. Die Wisente haben gegen diese Bedrohung kein Muster ausgebildet. So schränkt das gelernte Muster, was gegen andere Tiere hilft, sie auf der anderen Seite ein.

Der Vorteil der geformten Seele ist, dass er dich für diese Welt tauglich macht. Tauglich heißt jetzt überlebensfähig. Ob dauerhaft tauglich ist derzeit gerade fraglich geworden.
Der Nachteil der geformten Seele besteht darin, dass viele der Formen dich einschränken, und zwar besonders einschränken darin, dein ganzes Selbst zu erfahren und dich von dem „ganzen Selbst“ in deinem Leben führen zu lassen.

Woran erkennst du nun die Bestimmtheit und damit auch die Beschränktheit der geformten Seele? Dies kannst du am besten erkennen, wenn du dir klar machst, wie die Persönlichkeitsentwicklung erfolgt ist. Denn alles was du in deiner Persönlichkeit entwickelt und du damit zur Verfügung hast, unterstützt dich und schränkt dich zugleich ein.
Eine wichtige Phase der Entwicklung nach dem Embryo und dem Baby ist das Kleinkind. Im Kleinkind sind die Instinkte schon ausgebildet.
Beim Überlebensinstinkt kämpfst du um dein Gebiet, oder du fliehst, oder du erstarrst.
Das Sozial sein, den Sozialinstinkt merkst du, wenn du dich zu einer Gemeinschaft, wenn du dich zu einem Menschen hingezogen fühlst und angenommen wirst., und du im Zusammenwirken mit anderen eine Qualität bei dir realisieren kannst, die durch den Überlebenskampf alleine nicht zustande kommt.
Der Sexualinstinkt, die Sexualität, ist ein Instinkt, über den wir einiges wissen und der eine starke Wirkung auf uns hat.
Und dann wird besonders im Zusammenhang des Lernprozesses noch ein weiterer Instinkt wichtig, den ich den Instinkt zum Vervollkommnen nenne.  In dir ist, wie bei allen Menschen angelegt, dass du mehr sein willst und kannst, als in der geformten Seele gespeichert wird, geformt wird. Du kannst dich weiter entwickeln. Und zur Entwicklungsmöglichkeit gehört die gesamte Entwicklung bis hin zu einer Bewusstseinserweiterung zum ganzen Selbst.

Woran nimmst du wahr, wie du geformt bist?
Bei den Instinkten wurden schon Merkmale angeführt.
In der Wahrnehmung deines Körpers nimmst du Bewertungen wahr nach gut und schlecht, Empfindungen nach Schmerz und kein Schmerz, du empfindest Hunger oder Durst, die ungestillt als schlecht eingeschätzt werden, gestillt als gut.
Und weiter wirst durch deine Persönlichkeit geformt, die du besonders als „ich“, als dein Selbstbild erfährst, manchmal auch als Idealbild, durch die Struktur deines inneren Kritikers. Durch all das bist du geformt. Als Folge bildest du Muster und Strukturen aus, verfällst in Reaktionen, die manchmal hilfreich sind, häufig auch nicht.
Wichtig ist: Du bist mit diesem ganzen Bereich der Persönlichkeit in vielfacher Weise bestimmt, ohne dass du der Bestimmung bewusst bist, weil du ja auch keine Vergleiche hast.

In dieser Formung ist ein Entwicklungskonflikt hervorzuheben: Instinkte und Persönlichkeitsentwicklung setzen etwa gleichzeitig an, so nach dem ersten Lebensjahr. Sie werden nicht unterschieden und das kann in einigen Fällen zu Entwicklungsproblemen führen.
Als Beispiel nehme ich ein kleines Kind, das nach dem ersten Jahr gerade den Willen entwickelt, auch Trotzphase genannt, und das ist ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Eine Pfütze ist für den Einjährigen außerordentlich interessant. Also will der oder die Einjährige in der Pfütze plantschen, diesen Bereich der Umwelt erkunden. Mit ein Teil der Umwelt ist aber auch die Mutter. Diese nimmt das Kind aus der Pfütze heraus, Das Kleinkind will diese Pfütze weiter erkunden, wird wieder herausgenommen und gerät dadurch in zwei Konfliktformen.
In dem ersten Konflikt kommt der Überlebensinstinkt zur Wirkung. Der Überlebensinstinkt wirkt auf das Kind, wenn es aus der Pfütze herausgenommen wird, je nach den vorhergehenden Erfahrungen, entweder Kämpfen mit der Mutter oder im Flüchten durch weglaufen oder vielleicht im Erstarren in der Pfütze. Die Reaktion „erstarren“ wird vielleicht von der erwachsenen Person bevorzugt, denn dann ist das Kleinkind leicht „einzufangen“. Selbstverständlich ist eine erwachsene Person stärker. Für eine kurze Zeit kämpft das Kind, wenn es gerade instinktgesteuert ist, ums Überleben.
Die Pfütze ist kein Bereich, in dem es für ein Kleinkind wirklich ums Überleben geht. Doch diese Realität wahrzunehmen und überhaupt zu deuten, überfordert auch viele erwachsene Personen. Dass ein Überlebensinstinkt am Wirken ist wobei es eigentlich um eine Persönlichkeitsentwicklung geht, dieses wahrzunehmen verschwimmt.
Als Erwachsene wird das frühere Kind sagen: ich durfte nicht in die Pfütze gehen und kann das heute auch verstehen. Vielleicht war es zu kalt, oder ich sollte nicht nass werden oder was auch immer. Dann kann sich die Person in der Nachschau der eigenen Persönlichkeitsentwicklung selber klar machen: okay. Das war ein Problem der Persönlichkeitsentwicklung. Es ging nicht um Leben und Tod. Für das Kleinkind jedoch kann diese Situation aber durch den Überlebensinstinkt geprägt worden sein, und es ging in diesem Augenblick für sie vielleicht um Leben und Tod.
Ein zweiter Konflikt aus dem Bereich Instinkt und Persönlichkeitsentwicklung wird erneut mit dem Beispiel des Kindes in der Pfütze erläutert. Das Kind will eine gute Beziehung zu seinen Eltern haben und gleichzeitig will das Kind aber auch, der Entwicklung folgend, seinen neu entdeckten Willen durchsetzen. Denn das Plantschen in der Pfütze, das ist schön und spannend. Daher kommt es zu einem Konflikt zwischen den sozialen Instinkt und einer Entwicklungsform, der Entwicklungsform des Willens. Beide vermischen sich und das wird nicht wahrgenommen.
Ein weiterer dritter Konflikt kann entstehen und ebenfalls nicht wahrgenommen werden. Das Kleinkind hat in meinem Verständnis noch einen begrenzten Zugang zum Sein. Das Kleinkind sitzt irgendwo und „ist“ nur, spürt Seinsqualitäten, kann diese aber nicht kommunizieren oder kommt gar nicht auf den Gedanken diese zu kommunizieren. Es „schaut nur“. Die Eltern oder die Betreuungspersonen sehen das Kind und denken „es tut nichts“, es sollte jedoch etwas tun, sollte mit anderen spielen. Da die Betreuungsperson das Kind im Seinszustand nicht wahrnehmen wird oder kann, wird dieser Zustand von den Betreuungspersonen aus Unkenntnis negativ gewertet: „sitzt doch nicht einfach nur so rum“, „tu doch was“, „du hast das und das noch nicht getan“ und so weiter. Da die Betreuungspersonen das Kind im Sein nicht wahrnehmen, kommt das Kind in die Konflikte zwischen dem sozialen Instinkt mit dem Wunsch sich anpassen, es der Bezugsperson recht machen zu wollen und dem Sein. Dieser Konflikt wird vom Kind, vom Kleinkind, so gelöst, dass der Zugang zum Sein unterdrückt wird und je nach Abwehrmechanismus verdrängt, vergessen, abgespaltet. Und die Formung der Seele geht weiter.

Für die Formung der Seele als Heranwachsende ist auf der einen Seite die Entwicklung einer Persönlichkeit gefordert, die in dieser Welt bestehen kann, erfolgreich ist. Der Erfolg zeichnet sich in unserer Kultur besonders durch Tun aus. Ich muss das tun, was mir am meisten Anerkennung bringt, Anerkennung in unterschiedlicher Form.
Die Formung durch den inneren Kritiker wird leider in unserer Kultur als selbstverständlich und unverzichtbar akzeptiert. Das geht bis zur zwanghaften Einbindung in die Kultur. Ein wesentliches Mittel der Erziehung ist vielfach die Beschämung durch Nutzen der emotionalen Seele des Kleinkindes. Diese Art der Anwendung des inneren Kritikers zieht sich über die Einbindung durch die Kirche, Schule und so weiter, durch den ganzen Bereich der Sozialisation des kleinen Menschen in die Gesellschaft.
Der Heranwachsende durchlebt weiterhin eine Formung der Probleme beim Umgang mit Emotionen während der Pubertät und die Auseinandersetzung mit der Konditionierung durch die „Autoritäten“. Die Auseinandersetzungen werden an den Bezugspersonen vorgenommen, besonders an den Eltern, die dann angegriffen werden. Doch das Ergebnis, in welcher Form auch immer, ist eine Formung.
Die Konditionierung ein anderer Begriff für Formung durch den inneren Kritiker wird in der Pubertät noch einmal besonders deutlich er lebt, aber leider) vorwiegend nur als Einschränkung erfahren.
Die darüberhinausgehenden Fähigkeiten werden vor allen Dingen im emotionalen Bereich abgehandelt, weil der Zugang zu oder Ermöglichung des Zugangs zu Seinsqualitäten wenig kulturelle Unterstützung hat. Dabei entwickeln die Jugendlichen in ihrer Pubertät eine feine Wahrnehmung für Wahrheit und Authentizität, also für Seinsqualitäten.

Als Erwachsener ist die Seele weitgehend geformt in ein Bewusstsein, welches den Erwachsenen zugeordnet werden kann. Diese verfügt über Fähigkeiten, sie lebt ihre Biografie, kommt in der Gesellschaft zu Rande, und ist einigermaßen zufrieden mit dem Leben.
Aber all das, was während der Zeit ihrer Formung erreicht wird, wird andererseits aber auch durch das, was durch die Formung nicht zugänglich ist, eingeschränkt.
Daher bleibt für Viele trotz des Erreichten immer irgendwie eine Sehnsucht danach, was noch anders sein könnte. Der Instinkt der Vervollkommnung ist bei einigen Menschen wirksam. Das Leben könnte noch viel mehr bringen. Du, der du an dem Lern- und Entwicklungsprogramm soweit teilnimmst, dass du dies liest, weißt, dass du noch etwas anderes erleben willst, dass du noch etwas anderes „sein“ willst und dafür das Sein in dein erfüllteres Leben mit hineinnehmen willst.

Zusammengefasst: die Formung der Seele in der Persönlichkeit wird dir erst dadurch bewusst, dass du nicht ohne Probleme, nicht ohne Aufwand dein ganzes Selbst realisieren kannst.
Und du brauchst, in der Metapher ausgedrückt, dich als Wegezeichen für die Straßenkarten nur zu fragen: wieso komme ich hier nicht weiter, wieso habe ich mich verfahren, wieso kann ich das, was ich erkannt habe, nicht ändern.
Jedes Mal wenn du dir solche Fragen stellst, kommst du an deine Formung, an deine Strukturen heran und du kannst diese Strukturen, die du an dir wahrnimmst, als Straßenkarten für deinen Entwicklungsweg nutzen.

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413a Der innere Kritiker

Eine wichtige Formung der Seele ist die Formung durch den inneren Kritiker. Diese ist besonders hervorzuheben, weil sie leicht zu einer Fehldeutung bzw. einer Verschmelzung führt. Du kannst in die Versuchung kommen zu glauben, dass der innere Kritiker nicht eine Instanz, ein Muster von dir ist, sondern dass diese innere Stimme „du“ bist. Deshalb hebe ich hier die Entstehungsdynamik hervor.

Das Kleinkind nimmt die Weisung der Bezugspersonen, der Eltern, nach innen auf als Über-Ich, als innerer Richter, als innerer Kritiker. Das Kleinkind ist sich dieses Prozesses jedoch nicht bewusst. Es erfährt diese Internalisierung als innere Stimme oder manchmal auch als eine Abfolge von Bildern.
In diesem Prozess kann es zu einer fehldeutenden Dynamik kommen. Zunächst einmal gibt es eine äußere Anweisung durch die Mutter z.B. „mach dich nicht dreckig“. Diese Anweisung entfaltet eine eigene Wirkung je nachdem, wie diese äußere, von außen gehörte Anweisung als innere Anweisung, als von innen her kommend vom Kleinkind wahrgenommen wird. Steht der sachliche Inhalt im Vordergrund, was eher unwahrscheinlich ist, dann geht es darum, sich nicht dreckig zu machen, was für ein Kleinkind schon eine Herausforderung ist. Für das Kind ist durch seine Konzentration auf die Bezugsperson, durch seine Bindung an diese, nicht der Inhalt der Botschaft wichtig, sondern die Form der Botschaft, also der Beziehungsaspekt, und damit das Verhältnis zur Bezugsperson. Es geht also nicht so sehr um das „sich dreckig machen“, sondern ob Mama mich mag oder nicht mehr mag.
Je nach der konkreten Situation, je nach der bisher schon erfolgten Lerngeschichte, der Stabilität des Selbstbildes, verstärkt diese nach innen genommene Anweisung die bisherigen Erfahrungen als positiv oder negativ.
Wenn das Verhältnis zu den Bezugspersonen überwiegend liebevoll und anerkennend ist, dann ist die bewertende Form nicht so wichtig. Mama wird das Kind lieben ob es dreckig wird oder nicht.
Wenn das Verhältnis jedoch eher kritisierend und abwertend ist, wird der Stellenwert der äußeren Anweisung hinsichtlich des Beziehungsaspektes sehr wichtig. Jede einzelne Erfahrung damit inwieweit das Kind der inneren Weisung folgt hat also einen sachlichen Aspekt, im Beispiel das sich „nicht dreckig machen“ und einen konditionierenden Aspekt der Ausbildung der inneren Instanz, gleich einen Beziehungsaspekt.
Und statt der äußeren Mutter bist plötzlich du es, mit dem der Beziehungsaspekt verbunden wird. Statt „innerer Weisung“ kann jetzt auch „innerer Kritiker“ gesagt werden. Der innere Kritiker wird so zu einer Formung, einer Konditionierung der Seele.

Im Beispiel „mach dich nicht dreckig“ kann der Beziehungsaspekt des „mach dich nicht dreckig“ als Drohung verstanden werden. Das Kind kann davor Angst bekommen haben, wieder der Bezugsperson vor die Augen zu treten. Da das Kleinkind seine emotionale Seele als Regulationsmechanismus nutzt, wird eine negative Reaktion existenziell bedrohlich „wenn ich dreckig bin liebt mich die Mutter nicht mehr“ und die Welt bricht zusammen. Der Inhalt der Anweisung ist gar nicht mehr wichtig, die existenzielle Bedrohung wird immer wichtiger und führt zu einer Fehldeutung. Das Kind wird sich sagen „ich bin nicht gut, bin weil ich mich nicht so verhalten habe wie Mutter gesagt hat“.
Dann haben wir das typische Problem mit dem inneren Kritiker. Dieser gibt dir eine Anweisung. Du deutest sie automatisch fehl indem du nicht auf den Inhalt der Anweisung achtest, sondern auf die Form, auf den Beziehungsaspekt, du verschmilzt mit dieser Form und der innere Kritiker wird zu deinem viele Situationen umfassendes „ich“.
Du kannst dann nicht mehr unterscheiden zwischen der Form, der Funktion, dieses Muster des inneren Kritikers, sondern du „bist“ der innere Kritiker.
Leider wird von vielen Menschen die Identifikation, das Verschmelzen mit dem inneren Kritiker als „ich“ von der frühen Kindheit an bis in die Gegenwart mitgenommen. Auf diese Weise erhält der innere Kritiker die Struktur oder die Form eines Wesens. Und oft bist du das, der oder die Fehler macht, der oder die schlecht ist, der oder die gemaßregelt wird und der oder die beschämt wird. Beschämt und gemaßregelt von nach innen festgezerrten Anweisungen.
Wenn der innere Kritiker bei dir die Form annimmt, dass der Hinweischarakter, also der Inhalt der Botschaft nicht mehr im Vordergrund steht, dann kannst du nicht frei im Bereich der unterschiedlichen Selbst handeln. Du wirst durch das Navi der Persönlichkeit bestimmt.
Es ist dennoch erforderlich, die Hinweise des inneren Kritikers ernst zu nehmen und zu überprüfen. Die Form, die Beziehungsäußerung zu dir, ist jedoch mit allen dazugehörigen Mitteln zu entgiften und nicht als Maßstab deines Handelns anzuerkennen.

Leider ist die Formung durch den Kern des inneren Kritikers, d.h. durch die Beziehungsaussage zu dir, kulturell akzeptiert und wird zur zwanghaften Einbindung in die Kultur verwendet. Sie ist ein wesentliches Mittel der Erziehung durch Beschämung und das Ausnutzen der emotionalen Seele des Kleinkindes. Der innere Kritiker zieht sich über die Einbindung durch Kirche, Schule und so weiter, durch den ganzen Bereich der Sozialisation des kleinen Menschen in die Gesellschaft.

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